Beschreibung
Wissenschaft und Technik werden heute vielfach im Lichte ihrer moralischen Vertretbarkeit problematisiert und weniger im Hinblick auf ihre potenziellen Risiken oder ihren ökonomischen Nutzen. Diese Ethisierung von Technikkontroversen impliziert einen Geltungswandel des Dissenses: Sofern ein Problem als Wertfrage verstanden und verhandelt wird, muss Dissens, auch in dauerhafter Form, als legitim gelten. Dass moderne Gesellschaften mit dieser Herausforderung gerade erst umzugehen lernen, belegen die in diesem Band versammelten Studien zu Expertise, Partizipation und Politik. Das Leitthema, an dem sich die Argumentation in diesem Buch entfaltet, ist Kausalität. Der Nachvollzug der individuellen Entwicklung kausaler Vorstellungen bis hin zur Ausformung eines systemisch orientierten Denkens nimmt eine zentrale Position ein, und zwar sowohl hinsichtlich der formulierten komplexen Lerntheorie, als auch in Bezug auf unser Verständnis der Struktur von Weltbildern. Dabei zeigt sich, dass - entgegen diverser Bestrebungen, menschliches Denken auf bloße biologische Anlagen und steinzeitliche Primitivismen zu reduzieren - der Prozess des Lernens ganz im Gegensatz hierzu auf die Entfaltung komplexer Denkmuster hinführt. Reduktionistische Denkweisen sind weder unausweichlich noch ein logischer Endpunkt unserer intellektuellen Entwicklung, auch wenn einer geradlinigen Entwicklung auf ein komplexes Denken hin große innere Widerstände entgegenstehen. Im Vordergrund dieser Arbeit steht also die Bedeutung der Ethisierung für den Umgang mit Kontroversen, die Wissenschaft und Technik betreffen. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass die Ethik eine spezifische - und gerade in den medienwirksamen Technikkontroversen tonangebend gewordene - Thematisierungsweise von Wissenschaft und Technik geworden ist. Auf verschiedenen Ebenen wird gezeigt, welche Folgen oder Implikationen die Ethisierung von Wissenschaft und Technik hat: für den Verlauf und die Austragung von Konflikten, für die Mobilisierung und Beteiligung der Öffentlichkeit, für die beratende Wissenschaft und die politische Legitimation. In den empirischen Teilen der Arbeit stehen darum Analysen zu organisierter Laienbeteiligung sowie zur Aushandlungslogik und politischen Funktion von Ethikexpertise im Mittelpunkt. In all diesen Fällen wird Ethisierung als eine neuartige Problematisierungsperspektive vorgeführt, die Auseinandersetzungen um Forschung und Technologien in spezifischer Weise strukturiert, weil sie bestimmte Legitimationserwartungen und Argumentationszwänge freisetzt.
Autorenportrait
Alexander Bogner ist habilitierter Soziologe mit Schwerpunkt in den Bereichen Wissenschaft, Technik und Umwelt. Sein Forschungsinteresse kreist um die Frage, inwiefern Wissenschaft und Technik sich wandeln, wenn die Grenzen zu Politik und Öffentlichkeit durchlässiger werden. Empirischer Bezugspunkte seiner Analysen sind die Biomedizin, die Grüne Gentechnik sowie neue und emergierende Technologien.
Inhalt
InhaltsangabeInhalt I. Einleitung 1. Konjunkturen der Ethik · 2. Was heißt Ethisierung? · 3. Geltungswandel des Dissenses · 4. Ethisierung und Governance · 5. Fragestellungen und Gliederung des Bandes II. Die Ethisierung von Wissenschaft und Technik - konflikttheoretische Überlegungen 1. Impulse der soziologischen Konflikttheorie · 2. Eine Präzisierung des Rahmen-Begriffs · 3. Die Thematisierungsweise von Konflikten - eine Typologie · 4. Welche Fragen sind (un-)entscheidbar? Rahmenspezifische Erwartungen an Expertise · 5. Resümee III. Mikropolitik des Wissens - zur Geltung disziplinären Sonderwissens in Ethikräten 1. Zum Begriff der Mikropolitik · 2. Dimensionen der Geltung von Wissen · 3. Die Marginalisierung der Ethik · 4. "Nationaler Rechtsrat"? Zur Dominanz der Jurisprudenz · 5. "Kein Mensch kennt sich da aus": Zum Status der Naturwissenschaften · 6. Skizzen zu weiteren Disziplinen und Wissensformen · 7. Resümee IV. Mikropolitik der Werte - zur Aushandlungslogik von Wertkonflikten 1. Politikwissenschaftliche Bezugspunkte · 2. Arguing, Bargaining - und Wertkonflikte? · 3. Zur Entwicklung der Vergleichsdimensionen · 4. Barguing: Zur Aushandlung von Wertkonflikten in Ethikräten · 5. Konfliktspezifische Kommunikationsweisen im Vergleich · 6. Resümee V. Partizipation als Laborexperiment - Ethikexpertise durch Laien 1. Partizipation als Protest und als Experiment · 2. Die Hoffnung auf Legitimations- und Rationalitätsgewinne · 3. Partizipative Technikbewertung im Licht der Soziologie · 4. Die Bürgerkonferenz als Modellfall von Partizipation · 5. Alternative Rationalitäten? Selektivitäten der Laiendeliberation · 6. Resümee VI. Expertendissens und politische Autorität - zur politischen Verwertung von Ethikexpertise 1. Soziologische Traditionslinien: Politisches "Führertum" und Expertenherrschaft · 2. Die Anerkennung des Dissenses und die Autonomie der Politik (Fallstudie Deutschland) · 3. Ethokratie als Politikideal (Fallstudie Österreich) · 4. Zwischen Dissens und Bastelkonsens - die politische Verwertung von Ethikexpertise im Ländervergleich VII. Epilog 1. Risk und Ethics Governance · 2. Ethisierung und Moralisierung · 3. Warum Ethisierung? · 4. Noch einmal: Soziologie der Ethik