Beschreibung
Nach der Befreiung aus dem KZ befreundet sich Irene im amerikanischen Lazarett mit Michael, einem ehemaligen Hitlerjungen, der ihr von der "Wolfsbande", erzählt; seine Schilderungen von Kameradschaft und Zusammengehörigkeit faszinieren sie. Irenes Problem ist ihre Ortlosigkeit. Für sie und ihre Erlebnisse ist nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes kein Platz. In der kleinen Pension ihrer Tante findet Irene als kostenloses Hausmädchen eine lieblose Unterkunft und wird ab sofort mit dem ungehemmten Fortleben der NS-Ideologie konfrontiert. In diesem Ambiente, wo keiner dem anderen traut, ist Irenes LagerVergangenheit die eigentliche Schande, die es zu verbergen gilt. Ebenso naheliegend ist es, dass die kriminellen Umtriebe einer übrig gebliebenen HJGruppe unter der Schlagzeile "Missbrauchte Pfadfinderideale" Platz finden. Es ist genau jene Gruppe, der Michael angehört und auch der junge Toni, in den sich Irene nach einigen geheimen Treffen verliebt hat. Toni will aussteigen aus der verschwörerisch organisierten Gruppe, in der ein skrupelloser "Führer" ein autoritäres Kommando führt. Die beiden wollen fliehen. Die Art und Weise, wie Hertha Pauli in diesem Roman die psychologischen Trennlinien zwischen den verschiedenen Motivationen und Standorten der jugendlichen und erwachsenen Akteure setzt, ist ein finaler Kommentar zum Umgang mit der NS-Vergangenheit, vorgelegt im Jahr 1959. Damals wurde es wurde mit Heinrich Bölls "Haus ohne Hüter" verglichen.
Autorenportrait
Hertha Pauli (1906-1973) Geb. am 4. Sept. in Wien als Tochter der Journalistin und Frauenrechtlerin Berta Schütz und des Arztes Wolfgang Joseph Pauli, der aus einer jüdischen VerlegerFamilie stammte. Ihr Bruder war der PhysikNobelpreisträger Wolfgang Pauli. Von 1927 bis 1933 spielte Pauli unter Max Reinhardt in Berlin. Sie war u. a. mit Walter Mehring und Ödön von Horváth befreundet. Von 1933 bis 1938 wirkte sie in Wien als Herausgeberin im Rahmen der Österreichischen Korrespondenz und veröffentlichte biografische Romane. Sie emigrierte nach dem "Anschluss" Österreichs nach Frankreich. In Paris gehörte sie zum Bekanntenkreis Joseph Roths. Über Marseille, die Pyrenäen und Lissabon gelangte sie 1940 in die USA, wo sie vor allem als Jugendbuchautorin bekannt wurde. Pauli starb 1973 in Long Island, New York, ihr Grab befindet sich auf dem Döblinger Friedhof in Wien.
Leseprobe
Fragebogen haben mir immer Schwierigkeiten bereitet. Meine Mutter hatte mich aus der Schule genommen, als ich den ersten nach Hause brachte, in dem die Abstammung der Eltern auszufüllen war. Seitdem konnte ich Formulare nicht ausstehen und fürchtete mich vor Fragen aller Art. Auch im Büro des amerikanischen Spitals wusste ich nicht recht, was ich angeben sollte, als es um meine Entlassung ging. Es half nicht einmal, dass man versuchte, deutsch mit mir zu reden. Die Sache kam erst in Schwung, als Tante Liese selbst kam, um nach dem Rechten zu sehen. Ich hätte sie kaum erkannt. Vier Jahre lang hatte ich das sogenannte "Tantchen" meiner Kindheit nicht mehr gesehen. Sie schien mir nun viel kleiner - wahrscheinlich nur deshalb, weil ich selber gewachsen war. Dafür war sie dicker geworden. "Vom Kartoffel- und Rübenfressen", erklärte sie mit einem kurzatmigen Seufzer. Dann nahm sie energisch in die Hand, was für mich zu erledigen war. Wenn ich gesund sei, hörte ich, und traute meinen Ohren kaum, müsse ich natürlich sofort zu ihr ziehen. Ein Zimmer sei frei, zu essen gäbe es ja nun genug, wenn man seine Beziehungen hätte, ich könne ihr helfen, und sie hätte sich immer schon eine Tochter im Haus gewünscht. "Klar, nicht?" Ich war sprachlos. Es klang alles viel netter, als ich das Tantchen in Erinnerung hatte. Sie entschuldigte sich sogar, mich nicht früher besucht zu haben: es hatte so viele Laufereien gegeben, und zwar wegen ihrer Entnazifizierung. "Verdanke ich alles dem Hugo", setzte sie ein wenig verbittert hinzu. Onkel Hugo sei, natürlich nur der Not gehorchend, früher auch einmal in der Partei gewesen. War aber nun wieder ganz in Ordnung - schon deshalb, weil er meinem Vater behilflich gewesen war, versicherte Tante Liese. Sie schnaufte aus und wartete. Sollte ich mich bedanken? Ich schwieg. Das schien sie zu freuen. "Hast recht, Kind", fuhr sie fort, "darüber wollen wir gar nicht mehr reden. Ich kann alles verstehen, weißt du. War zum Schluss selber eingesperrt, weil ich vor allen Leuten gesagt habe, dieser Schwarzhandel sei einfach ein Skandal. Und das war er auch." Da kam gerade meine amerikanische Schwester vorbei, und Tante Liese verstand es, ihr ein paar englische Worte zu sagen. "Muss man heute können", flüsterte sie mir nachher stolz zu, "besonders in einem Betrieb wie dem unseren." Dann begann sie eingehend von ihrer Pension zu erzählen. Sie ging gut, aber es war eine Plage mit den Hausgehilfinnen. Erst bekam man sie nicht und dann liefen sie gleich wieder weg, meist mit einem von der Besatzung, der womöglich auch noch schwarz war. Mit einer war kürzlich der Rest des Familienschmucks verschwunden. Mir ging ein Licht auf: Also daher pfiff das Mitleid. Ich sollte wohl nicht so sehr Haustochter wie Hausmädchen werden. Auch gut. Nur hier heraus. Über meine zukünftigen Pflichten wurde noch nicht geredet. Etwas anderes, worüber auch nicht geredet werden sollte, war meine Lagervergangenheit, und vor allem deren Grund. "Dass dein Vater nicht arisch war, schadet ja heute nichts mehr - im Gegenteil", meinte das Tantchen. "Man soll's bloß den Leuten nicht auf die Nase binden. KZ und so, das hört doch keiner gerne. Also Schwamm drüber. Klar, nicht?"