Beschreibung
Die Geschichte eines moralischen Irrtums, der in Ruanda eines der größten Verbrechen des Jahrhunderts ermöglichte. Der Roman zweier Menschen, die im Chaos ihrer Zeit um ihre Unschuld kämpfen. Ruanda, April 1994, in Kigali wütet der Mob. David, Mitarbeiter der Schweizer Entwicklungshilfe, hat das Flugzeug, mit dem die letzten Ausländer evakuiert wurden, abfliegen lassen. Er versteckt sich hundert Tage in seinem Haus, vom Gärtner mit Nahrung versorgt - und mit Informationen über Agathe, Tochter eines Ministerialbeamten, die der Grund für sein Bleiben ist. Die vergangenen vier Jahre ihrer Liebe ziehen ihm durch den Kopf, die Zeit, die er als Entwicklungshelfer in Kigali verbrachte. Millionen wurden in ein totalitäres Regime gepumpt, das schließlich, als es die Macht an eine Rebellenarmee zu verlieren drohte, einen Genozid organisierte. Auch David wurde zum Komplizen der Schlächter, und als die Aufständischen Kigali einnehmen, flieht er mit den Völkermördern über die Grenze. Dort findet er in einem Flüchtlingslager Agathe wieder, aber es ist nicht die Frau, die er einmal liebte. Lukas Bärfuss' minutiös recherchierter Roman berichtet von Menschen, die das Gute beabsichtigten und das Böse bewirkten. "Hundert Tage" erzählt ein dunkles Kapitel aus Afrikas Geschichte, in das wir tiefer verstrickt sind, als wir glauben wollen. Nicht zuletzt ist es die bewegende Geschichte einer Liebe in Zeiten des Krieges und die Geschichte von den Verheerungen, die der Hass anrichtet.
Autorenportrait
Lukas Bärfuss, geboren 1971 in Thun/Schweiz, zählt zu den erfolgreichsten Dramatikern der letzten Jahre. Seine Stücke werden weltweit gespielt. Bei der Kritikerumfrage der Zeitschrift Theater heute wurde Bärfuss zum Dramatiker des Jahres 2005 gewählt, neben zahlreichen an deren Auszeichnung erhielt er den Mühlheimer Dramatikerpreis. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Zürich. "Hundert Tage" ist er erste Roman des gefeierten Dramatikers.
Leseprobe
Ich will es nicht beschreiben, man hat genug darüber gelesen, und tatsächlich befanden sich ganze Kompanien von Presseleuten im Nordkivu. Fernsehteams filmten Sterbende, und niemand sollte denken, dass die Kameras nach ihnen suchen mussten, es war einfach nicht anders möglich. In welche Richtung man auch sah, es befand sich immer ein sterbender Mensch im Blickfeld. Die Journalisten traten den Helfern auf die Füße, und wenn sie sich auch nicht mochten und ein ziemlicher rüder Umgangston in den Lagern herrschte, so wussten sie doch alle, wie sehr sie aufeinander angewiesen waren und jeder nur seinem Geschäft nachging. Die Helfer drängten vor die Kameras, schließlich ging es für sie um Spendengelder, und tatsächlich waren kaum bessere Bilder vorstellbar, um das Mitleid und die Abscheu der Fernsehzuschauer zu erregen, eine unverzichtbare Voraussetzung, um ihre Geldbörsen zu öffnen. Nun, alles wird man ihnen nicht gezeigt haben, nicht, was ich gesehen habe, nicht die leblosen Körper, die man zu den Toten auf die Lastwagen warf, wo sie für einen Moment wieder zum Leben erwachten und versuchten, vom Leichenberg zu klettern, stürzten, zu Boden fielen und nun wirklich tot waren. Nicht die Helfer, die über diesen Slapstick des Todes in hysterisches Lachen ausbrachen. Nicht die Lastwagen mit den Hilfsgütern, die keinen anderen Weg fanden und über dürre Leichen rollten, die unter den Rädern knackten wie brennendes Reisig. Und dazu machte sich zu jener Zeit zum ersten Mal seit siebzehn Jahren der Nyiragongo bemerkbar, spuckte Rauch und Lava aus, es war, als wollte die Natur den Menschen nicht alleine die Regie über das Höllenspektakel überlassen. Eindrucksvolle Bilder, die jede andere Ansicht des Elends weit in den Schatten stellten und einen ersten Platz in den Abendnachrichten füllten. Jede Hilfsorganisation wollte nach Goma, sie stritten sich um die Einsätze, und ich wusste, diese beinahe perfekte Hölle, der Vulkan, die Leichen, war nicht die Strafe für die Mörder, sie war die Voraussetzung, damit die Mörder aufgepäppelt wurden. Und es war ein guter Preis, denn alles in allem starben doch nicht mehr als einige Zehntausend von denen, die einige Hunderttausend umgebracht hatten. Doch ihr Glück war, vor den Augen der betroffenen Welt zu krepieren, und ein Tod vor laufender Kamera ist mehr wert als hundert ungesehene Tode. Und wenn man auch wusste, wer hier starb, und man um das Lager einen Stacheldrahtzaun hätte ziehen müssen, die Mörder einsperren und vor Gericht hä
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