Beschreibung
Erweiterte und aktualisierte Neuauflage 2005 Der Iran steht vor neuen dramatischen Umbrüchen. Religiöser und kultureller Pluralismus gewinnen immer mehr an Boden, seit der radikal-islamische Gottesstaat an seinen inneren Widersprüchen zu zerbrechen droht. Was sind die Folgen für die Weltpolitik? Der Kulturwissenschaftler Gerhard Schweizer zeigt in der aktualisierten Neuauflage seines Buches, daß die revolutionären Vorgänge nur vor dem Hintergrund einer reichen kulturellen Tradition zu verstehen sind. Er spannt den Bogen zur 2500jährigen Geschichte und macht einen ganz anderen Iran sichtbar: Über viele Jahrhunderte hat das Land eine überragende Vermittlerrolle zwischen Asien und Europa gespielt, ist eine Drehscheibe zwischen Ost und West gewesen. Aus der historischen Rückschau wagt er eine Prognose für die Zukunft.
Autorenportrait
Gerhard Schweizer, 1940 in Stuttgart geboren, promovierte an der Universität Tübingen in Empirischer Kulturwissenschaft. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Wien, wenn er nicht gerade auf Reisen recherchiert und Material für neue Reportagen und Bücher sammelt. Er ist einer der führenden Experten für die Analyse der Kulturkonflikte zwischen Abendland und Orient und gilt als ausgewiesener Kenner der islamischen Welt. Gerhard Schweizer hat dazu mehrere Bücher veröffentlicht, die als Standardwerke gelten. Einem breiten Publikum wurde er vor allem durch seine Bücher über den asiatischen und arabischen Raum bekannt.
Leseprobe
Einleitung - Der unbekannte Iran Aktuelle Überraschungen Ein Gespenst ging um im Orient: der Khomeinismus. Es begann 1979. Damals hatte Revolutionsführer Khomeini die Weltöffentlichkeit mit der Tatsache überrascht, daß es einer radikalen Minderheit gelingen konnte, den Schah als den Regenten einer prowestlichen Diktatur zu stürzen und einen antiwestlichen Gottesstaat zu errichten. Seither hatte der islamische Fundamentalismus eine bis dahin unbekannte Dynamik gewonnen und wurde zur Herausforderung mit besonderer Stoßkraft gegen die ohnehin schon labilen Gesellschaftssysteme des Nahen und Mittleren Ostens. Der Iran wurde zum Modellfall. Mullahs und Ajatollahs hatten in jenem denkwürdigen Jahr 1979 verkündet, der Erfolg ihrer iranisch-islamischen Revolution bedeute ein Signal des Aufbruchs für die Moslems in aller Welt. Kurzfristig sollten die Revolutionäre tatsächlich recht behalten. Freund und Feind bewerteten die Vorgänge im Iran als einen epochalen Einschnitt innerhalb der jüngeren Geschichte des Vorderen Orients. Damals wurde Khomeini, der graubärtige, meist streng blickende Geistliche mit schwarzem Turban, zur herausragenden und zugleich umstrittensten Symbolfigur fundamentalistischer Umbrüche weit über die eigenen Landesgrenzen hinaus. Nicht nur Schiiten, sondern zunehmend auch Sunniten ließen sich von Khomeinis Aufruf beeindrucken, die Moslems müßten sich viel entschiedener als bisher auf ihre religiös-kulturellen Wurzeln besinnen und sich radikal von jeglichem Einfluß 'westlicher Dekadenz' befreien. Es war ein Fanatismus mit problematischen Folgen für das Ansehen einer Weltreligion und bot Anlaß zu zahlreichen Mißverständnissen besonders in der westlichen Welt. Der blutige Umsturz im Iran verstärkte und verfestigte weltweit das ohnehin schon kursierende Vorurteil, ein derart radikalisierter politischer Islam sei gleichzusetzen mit dem Islam schlechthin. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist der Iran wiederum mit einer Überraschung ins Zentrum des internationalen Interesses gerückt. Nun durch eine gegenläufige Tendenz. Der Gottesstaat wankt in seinen Grundfesten. Aber weniger der Druck feindlicher Großmächte gefährdet das Regime der 'islamischen Revolutionäre' - erheblich gefährlicher erweist sich der Widerstand in den eigenen Reihen. Nicht nur eine breiter werdende iranische Bildungsschicht beginnt sich energisch gegen die rigide Bevormundung durch Geistliche zu wehren. Inzwischen verlangen immer mehr Mullahs und Ajatollahs selber nach grundlegenden Reformen. Ja, sogar entschiedene Parteigänger der 'Islamischen Revolution' äußern sich kritisch über Fehlentwicklungen, unter ihnen etliche prominente politische Weggefährten des verstorbenen Revolutionsführers Khomeini. Was hat dies zu bedeuten? Gehen angesichts wachsender sozialer und politischer Krisen die Erosionsprozesse bis tief in die fundamentalistische Ideologie hinein? Der Iran wird mit immer größerer Wahrscheinlichkeit zum Modellfall eines zweiten tiefgehenden Umbruchs. 1979 ist der Iran der erste Staat gewesen, in dem es radikal-islamischen Ideologen hatte gelingen können, alle Machtpositionen zu besetzen. Und der Iran ist seither auch der einzige Staat geblieben, den die Fundamentalisten länger als zwei Jahrzehnte ununterbrochen regieren. Doch zu Beginn des 21. Jahrhunderts könnte derselbe Iran der erste Staat werden, in dem der totalitäre Anspruch islamischer Fundamentalisten an eigenen ideologischen Widersprüchen grundsätzlich scheitert. Ein solches Scheitern könnte einer kulturell und politisch pluralistischen Gesellschaftsordnung den Weg ebnen. Auch wenn sich diese Entwicklung erst in unsicheren Konturen abzeichnet, sind die Konsequenzen jetzt schon abzusehen: Ein derartiger zweiter Umbruch wird - wie einst Khomeinis Revolution - wiederum beträchtliche Signalwirkung für andere islamische Staaten haben. Bereits die exemplarischen Vorgänge unserer Gegenwart machen es also nötig, daß wir uns gründlich mit dem Iran beschäft