Beschreibung
Bekanntlich schrieb Jünger aus Erfahrung; die 'Annäherungen' an Grenzen der Vorstellung und des Verstandes, die nicht überschritten werden können, sind daher gleichzeitig auch ein Teil der Autobiographie Jüngers. So unternahm er gemeinsam mit dem Chemiker Albert Hofmann LSD-Fahrten - während sich zugleich in den 315 Dosen, die Jünger seinen Lesern verabreicht, Passagen über Thomas de Quincey, Maupassant, oder Baudelaire finden. Zwischen Rauschtagebuch und Traktat - eine (Wieder-)Entdeckung.
Autorenportrait
Ernst Jünger, am 29. März 1895 in Heidelberg geboren. 1901-1912 Schüler in Hannover, Schwarzenberg, Braunschweig u. a. 1913 Flucht in die Fremdenlegion, nach sechs Wochen auf Intervention des Vaters entlassen 1914-1918 Kriegsfreiwilliger 1918 Verleihung des Ordens 'Pour le Mérite'. 1919-1923 Dienst in der Reichswehr. Veröffentlichung seines Erstlings 'In Stahlgewittern'. Studium in Leipzig, 1927 Übersiedlung nach Berlin. Mitarbeit an politischen und literarischen Zeitschriften. 1936-1938 Reisen nach Brasilien und Marokko. 'Afrikanische Spiele' und 'Das Abenteuerliche Herz'. Übersiedlung nach Überlingen. 1939-1941 im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich. 1944 Rückkehr Jüngers aus Paris nach Kirchhorst. 1946-1947 'Der Friede'. 1950 Übersiedlung nach Wilflingen. 1965 Abschluß der zehnbändigen 'Werke'. 1966-1981 Reisen. Schiller-Gedächtnispreis. 1982 Goethe-Preis der Stadt Frankfurt/Main.1988 Mit Bundeskanzler Kohl bei den Feierlichkeiten des 25. Jahrestags des Deutsch-Französischen Vertrags. 1993 Mitterrand und Kohl in Wilflingen. 1998 Ernst Jünger stirbt in Riedlingen.
Leseprobe
Drogen und Rausch Der Einfluß der Droge ist ambivalent; sie wirkt sowohl auf die Aktion wie auf die Kontemplation: auf den Willen wie auf die Anschauung. Diese beiden Kräfte, die sich auszuschließen scheinen, werden oft durch dasselbe Mittel hervorgerufen, wie jeder weiß, der einmal eine zechende Gesellschaft beobachtet hat. Allerdings ist es fraglich, ob man den Wein zu den Drogen im engeren Sinne rechnen darf. Vielleicht wurde seine ursprüngliche Gewalt in Jahrtausenden des Genusses domestiziert. Mächtigeres, aber auch Unheimlicheres erfahren wir aus den Mythen, in denen Dionysos als Festherr mit seinem Gefolge von Satyrn, Silenen, Mänaden und Raubtieren erscheint. Der Siegeszug des Gottes geschah in umgekehrter Richtung wie der Alexanders: von Indien über den Vorderen Orient nach Europa, und seine Eroberungen sind nachhaltiger. Dionysos gilt, gleich dem Adonis, als Stifter orgiastischer Feste, deren Periodik sich tief in die Geschichtswelt einflicht und mit denen ein üppiger Phallosdienst verbunden war. Dieser bildete nicht den Inhalt der Dionysien, sondern eine der Offenbarungen, die das Mysterium und seine bindende Kraft bestätigten. Demgegenüber konnten, einem alten Autor zufolge, 'die Feste der Aphrodite auf Cythere fromme Kinderspiele genannt werden'. Diese ursprüngliche Kraft des Weines ist geschwunden; wir sehen sie gemildert wiederkehren in den Herbst- und Frühlingsfesten der Weinländer. Nur selten tritt aus der Steigerung von Lebenslust. von Farben, Melodien. grotesken Bildern noch eine Spur der alten Mysterienwelt mit ihrer unheimlich ansteckenden Gewalt hervor. Archaisches taucht dann in den Gesichtern, den Sprüngen und Tänzen auf. Vor allem die Maske gehört dazu. das Symbolon der 'verkehrten Welt'. Wenn wir die Triumphe von Alexander und Dionysos vergleichen, so berühren wir damit auch den Unterschied von historischer und elementarer Macht. Der Erfolg in der Geschichte, etwa die Eroberung BabyIons, ist flüchtig und an Namen geknüpft. Der Augenblick kehrt in dieser Form nicht wieder; er bildet ein Glied in der Kette der historischen Zeit. Für Wandlungen innerhalb der ElementarweIt sind dagegen weder Namen noch Daten wichtig, und doch geschehen sie immer wieder, nicht nur unter-, sondern auch innerhalb der historischen Zeit. Sie brechen wie Magma aus der Kruste hervor. Um beim Wein zu bleiben: Alexander mußte aus Indien weichen, während Dionysos noch heute als namenloser Festherr regiert. Der Wein hat Europa stärker verändert als das Schwert. Immer noch gilt er als Medium kultischer Wandlungen. Der Austausch von neuen Giften und Räuschen, auch von Lastern, Fiebern und Krankheiten, entbehrt der festen Daten, mit denen sich eine Krönung oder eine Entscheidungsschlacht dem Gedächtnis einprägen. Das bleibt im Dunkel, im Wurzel geflecht. Wir können die Vorgänge ahnen, doch weder ihren Umfang ermessen noch in ihre Tiefe eindringen. Als Cortez 1519 in Mexiko landete, fiel das für die Europäer in die historische, für die Azteken in eine magische Weltordnung. Dort ist der Traum noch mächtiger als das wache Bewußtsein, die Ahnung bindet stärker als das Wort. Bei solchen Kontakten webt ein spiegelbildliches Hin und Her, das bald als Raub und bald als Gabe, dann wieder als Schuld und Sühne begriffen wird - etwa im Opfer: hier Montezuma, dort Maximilian, beide Kaiser von Mexiko. Unter der Oberfläche werden Keime, Bilder, Träume gegeben und empfangen in einem Wechsel, der Stämme vernichtet und andere befruchtet, doch dessen Wirken sich der exakten Beschreibung und Datierung entzieht.