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Sisyphos im Management

Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur

Erschienen am 15.05.2015, 2. Auflage 2015
24,90 €
(inkl. MwSt.)

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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593502267
Sprache: Deutsch
Umfang: 235 S.
Format (T/L/B): 1.5 x 21.4 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen heute eigenverantwortlich handeln, aber möglichst nur in dem vom Management vorgegebenen Rahmen. Man fordert von ihnen, wie 'Unternehmer in Unternehmen' zu agieren, dabei immer im Sinne des gesamten Unternehmens. Stefan Kühl analysiert systematisch die Paradoxien und Widersprüche, die durch die neuen Managementkonzepte entstehen. Anhand aktueller Trends im Managementdiskurs zeigt er, warum die Suche nach einer optimalen Organisationsstruktur vergeblich ist und warum das Management diese Suche trotzdem nicht aufgeben sollte.

Autorenportrait

Stefan Kühl ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Organisationssoziologie, an der Universität Bielefeld. Er arbeitet als Organisationsberater der Firma Metaplan für verschiedene deutsche Unternehmen.

Leseprobe

Die optimale Organisationsstruktur und die Suche nach dem heiligen Gral der Organisation - Vorwort Den Traum von der optimalen Organisationsstruktur gab es schon, bevor sich im 17. und 18. Jahrhundert ein allgemeines Verständnis ausbildete, was eine Organisation überhaupt ist. Schon die Sassaniden, die im 3. Jahrhundert nach Christus Persien dominierten, debattierten, wie man die Herstellung von Glas und Seide optimieren könnte. Zur Hochzeit des Stadtstaates Venedig im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit diskutierten die Räte, wie die Schiffsproduktion am effizientesten organisiert werden könnte. Die holländischen und britischen Kaufleute, die im 16. und 17. Jahrhundert ihre Schiffe nach Asien schickten, um Gewürze einzukaufen, berieten darüber, wie diese Unternehmungen am besten strukturiert werden könnten. Und heute verwenden Unternehmen, Verwaltungen, Armeen, Krankenhäuser, Universitäten, Schulen und Verbände viel Zeit darauf, die Organisationsform auszumachen, die ihnen den am besten geeigneten Rahmen für die optimale Ausführung ihrer Arbeiten bietet. Gibt es diese optimalen Organisationsstrukturen aber wirklich? Zwar suggerieren Managementbücher, Artikel in Wirtschaftszeitschriften und die Foliengewitter in Praktikervorträgen, dass man den heiligen Gral der Organisation gefunden hat oder jedenfalls sehr nahe daran ist, ihn zu finden. Schaut man jedoch genauer hin, wird offenbar, mit wie viel Widersprüchen die nach Perfektion strebenden Organisationen zu kämpfen haben. Einerseits sollen Mitarbeiter als "Unternehmer im Unternehmen" innerhalb der Organisation konkurrieren, andererseits sollen sie mit anderen Mitarbeitern kooperieren können. Motto: Alle ziehen gemeinsam an einem Strang, aber nur die Besten setzen sich durch. Einerseits wird von den Mitarbeitern verlangt, dass sie ihren eigenen Weg gehen, andererseits sollen sie das Gesamtziel der Organisation nicht aus den Augen verlieren. Motto: Jeder sucht sich seinen eigenen Weg, aber wir sitzen alle in einem Boot. Einerseits sollen die Mitglieder - wenn nötig - die von oben verordneten Regelwerke verletzen, andererseits die von der Organisation vorgegebenen Strukturen achten. Motto: Tu, was du willst, aber verletze ja nicht die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze. Einerseits soll für Querdenker mit ihrer Kreativität und Flexibilität Platz und Handlungsspielraum vorhanden sein, andererseits sollen die Ressourcen der Organisation möglichst effektiv eingesetzt werden. Motto: Sei unorthodox, behindere dadurch aber nicht die im Namen der Effizienz stattfindende Standardisierung von Abläufen. Gerade in Organisationen, die Entscheidungskompetenzen dezentralisieren, ihre Hierarchiestufen reduzieren und die strikte Abgrenzung von Abteilungen auflösen, stellen sich grundlegende Koordinationsprobleme: Wie wird die schwierige Koordination zwischen selbstständigen, vorrangig auf sich selbst bezogenen Einheiten hergestellt? Wie lässt sich die Koordination zwischen teilautonomen Gruppen, Prozesslinien, Segmenten oder Profitcentern organisieren, obwohl ihnen ein hohes Maß an Autonomie zugestanden wird? Wie findet der Ausgleich zwischen der geförderten und geforderten lokalen Rationalität der Teams und der Gesamtrationalität der Organisation statt? Das grundlegende Problem von Organisationen ist: Je mehr die einzelnen Einheiten einer Organisation in der Lage sind, sich zu verselbstständigen, desto dringender, aber auch komplizierter wird die Integration dieser Einheiten in die Gesamtorganisation. Mit der zunehmenden Differenzierung in selbstorganisierte, teilautonome Einheiten wird die Integration immer schwieriger, gleichzeitig aber auch immer notwendiger. Unter diesen Bedingungen ähnelt die Suche nach der optimalen Organisationsstruktur den Bemühungen des Sisyphos, der vergeblich versucht, mit seinem Felsbrocken den Gipfel des Berges zu erklimmen. Genauso wie der Felsbrocken Sisyphos immer wieder entgleitet, genauso wird die Hoffnung des Managements, die optimale Organisationsstruktur gefunden zu haben, immer wieder zunichtegemacht. Die Maßnahmen zur stromlinienförmigen Gestaltung der Organisation produzieren ungewollte Nebenfolgen, die häufig erst nach einiger Zeit zutage treten. Ein zentrales Organisationsproblem mag man in den Griff bekommen haben, aber nur auf Kosten neuer organisatorischer Baustellen, die sich vor dem Management auftun. Dieses Buch zerstört die Hoffnung, eine optimale Organisationsstruktur für ein Unternehmen, eine Verwaltung, ein Krankenhaus, eine Universität oder eine Armee finden zu können. Es erklärt die ungewollten Nebenfolgen und die paradoxen Effekte, mit denen sich das nach Perfektion und Qualität strebende Management herumschlägt. Nach einer grundlegenden Erörterung des Problems der Suche nach der optimalen Organisationsstruktur (Kapitel 1), die problemlos auch erst am Ende gelesen werden kann, beschäftige ich mich in diesem Buch mit den zentralen Fragen, die sich das Management von Organisationen stellt, wenn es versucht, die Organisation zu optimieren: Warum wehren sich Mitarbeiter gegen die eigene "Ermächtigung" im Rahmen von Dezentralisierungsmaßnahmen (Kapitel 2)? Weswegen lässt sich eine Organisation nicht wie ein großer interner Markt organisieren (Kapitel 3)? Weswegen führt Qualitätsmanagement häufig nicht zu mehr Qualität, sondern zu mehr Bürokratie (Kapitel 4)? Weswegen ist das Ergebnis einer konsequenten Dezentralisierung in einigen Fällen die Zentralisierung von Entscheidungen (Kapitel 5)? Weswegen sind Gruppenarbeitsprojekte nach den Kriterien der Promotoren häufig nur begrenzt erfolgreich und am Ende dann doch erfolgreich scheiternde Projekte (Kapitel 6)? Wie versuchen Unternehmen sich an den Vorstellungen von "gutem Management" zu orientieren und sich trotz der Orientierung an der Best Practice als "einzigartig" darzustellen (Kapitel 7)? Und wie soll man mit den Schwierigkeiten bei der Suche nach der optimalen Organisationsstruktur umgehen (Kapitel 8)? Die drei Seiten einer Organisation Bei der Analyse von Organisationen kommt es darauf an, immer die drei Seiten der Organisation im Blick zu haben: die Schauseite, also die nach außen dargestellte aufgehübschte Fassade der Organisation; die formale Seite, die mehr oder minder präzise aufeinander abgestimmten Erwartungen also, an die sich ein Mitglied zu halten hat, wenn es Mitglied bleiben will; und die informale Seite, die Routinen also, die sich in der alltäglichen Arbeitspraxis eingeschlichen haben und sich im Schatten der formalen Seite ausbilden. Es ist ein unvermeidlicher Effekt der Arbeitsteilung, dass die Mitglieder der Organisation ihre Perspektive besonders auf eine Seite richten (vgl. Kühl 2011: 92). Im mittleren Management dominieren Spezialisten für die formale Programmierung von Organisationen. Hier werden Zielvorgaben ersonnen und neue Regeln formuliert, an die sich die Mitarbeiter zu halten haben. In den operativen Bereichen einer Organisation müssen diese formalen Vorgaben umgesetzt werden. Dies erfordert aber häufig viel spielerische Kreativität beim Auslegen, Reinterpretieren und Unterlaufen der formalisierten Vorgaben. Spezialisten für die informale Seite werden verständlicherweise nicht - beispielsweise als "Chief Informality Officer" - im Organigramm einer Organisation ausgeflaggt; häufig übernehmen Mitarbeiter aus der Personalentwicklung die Rolle des Ansprechpartners für alles, was sich nicht ohne Weiteres in der Formalstruktur der Organisation auffangen lässt. Eine vorrangige Aufgabe der Spitzenpositionen in Organisationen ist es - unterstützt durch Kommunikations-, Presse- und Marketingabteilungen -, die Schauseite der Organisation herzurichten. Auch wenn es zum guten Stil eines Organisationsmitglieds gehört, zu betonen, dass man immer alle drei Seiten der Organisation im Blick hat, tendieren Organisationsmitglieder abhängig von ihrer Position jedoch dazu, eine der Seiten zu verabsolutieren. Die Formalstrukturexperten haben auf die vielfältigen...

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