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Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt

Erschienen am 20.08.2004
Auch erhältlich als:
14,90 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552052970
Sprache: Deutsch
Umfang: 144 S.
Format (T/L/B): 1.7 x 21 x 13.1 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

2003 ist Henning Mankell für einige Wochen nach Uganda gereist, um mit Aidskranken und deren Angehörigen zu sprechen. Entwicklungshelfer unterstützen die mit ihrem vorzeitigen Tod konfrontierten Eltern dabei, Erinnerungsbücher für ihre Kinder zu verfassen, in denen sie die wichtigsten Ereignisse ihres Lebens festhalten. Mankell schreibt in seinem sehr persönlichen Text über dieses Projekt und ruft zum Kampf gegen Aids in der Dritten Welt auf. Das Buch enthält im Anhang eine Beschreibung des Memory-Book-Projekts von Plan International in Uganda sowie den Abdruck eines übersetzten Memory-Books von Christine Aguga. Ein Nachwort der deutschen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt zur Situation von Aids weltweit beschließt den Band.

Autorenportrait

Facebookseite von Henning Mankell (englisch)

Leseprobe

18. Der Nebel löst sich langsam auf. Ich stehe da und sehe auf das Meer hinaus und denke an Aida und ihre Mangopflanze.

Als sie sie mir zeigte, war ich ganz sicher, daß dies einer der Momente war, die man nicht vergißt, solange man lebt.

19. Wie es eigentlich dazu kam, weiß ich nicht. Ebenso wenig weiß ich, wann Aida sich entschloß, mir ihr Vertrauen zu schenken und ihr Geheimnis mit mir zu teilen. Aber ich bekam sie zu sehen, als ich sie und die Familie zum zweitenmal besuchte.

Als ich sie das erstemal besuchte, war es ein sehr heißer Tag. Wir fuhren früh in Kampala los, um zu vermeiden, daß wir auf der Ausfallstraße ins vormittägliche Verkehrschaos gerieten. Beatrice, die mir half, mit den Menschen in Kontakt zu kommen, die krank waren und Erinnerungsbücher schrieben, hatte mit Christine ausgemacht, daß ich bei ihr vorbeikommen sollte. Da wußte ich noch nicht, daß es eine Tochter namens Aida gab. Von Christine wußte ich eigentlich nur zwei Dinge, daß sie Aids hatte und daß sie bereit war, mit mir darüber zu sprechen.

Als wir an diesem Morgen aus Kampala herausfuhren, empfand ich dasselbe Unbehagen, das mich begleitet hatte, als ich nach Uganda kam. Es liegt etwas fast Unanständiges darin, zu erwarten, daß todkranke Menschen bereit sein sollen, einem wildfremden Mann gegenüber über ihr Leiden und ihr Schicksal zu sprechen. Der außerdem aus dem fernen Winkel der Welt - Europa, dem Westen - geflogen kommt, wo die gefürchtete Krankheit fast gebändigt und zu einer chronischen, aber nicht tödlichen Krankheit geworden ist. Die Krankheit, die jetzt wahllos auf dem afrikanischen Kontinent und an anderen Orten in der armen Welt tötet.

Ich schlief schlecht, da es mich vor der Aufgabe grauste. Die Unruhe war leicht zu verstehen. Es grauste mich, weil ich wußte, daß das Schicksal von Christine und den anderen mir sehr nahe gehen würde.

Beatrice hatte uns eine gute Wegbeschreibung geliefert. Wir bogen ab, und wie immer in Afrika ist man sogleich mitten drin in einer anderen Welt; in der, die etwas unzutreffend das eigentliche Afrika genannt wird. Aber Afrika ist immer 'eigentlich', ob Savanne oder Slum, ob alte verfallene koloniale Stadtviertel oder ein düsteres, unbestimmbares Grenzland zwischen Busch und Wüste.

Christine besaß zwei Häuser. In dem einen wohnten ihr Vater und ihre Mutter und einige der Geschwister. Als ich ankam und aus dem Auto stieg, sah ich als erstes ihren Vater, der dasaß und ein Gemüse putzte, das ich noch nie gesehen hatte. Er war unrasiert, aber sehr würdevoll. Später erfuhr ich, daß er möglicherweise 80 Jahre alt war, auch wenn niemand es mit Bestimmtheit sagen konnte. Er hatte einen scharfen Blick, und rings um ihn her existierte ein unsichtbares Kraftfeld, das sogleich alle umschloß, die sich ihm näherten.

Während der ganzen Unterredung, die ich an diesem Tag mit Christine führte, putzte er weiter sein Gemüse. Dann und wann brachte ihm ein Kind oder vielleicht eine Tante oder seine Frau etwas zu trinken.

Er war wie ein Zeitmesser, der voller Verachtung eine gewöhnliche Uhr ablehnte. Die einzige Art, die Bewegung in seinem eigenen Leben und dem anderer zu messen, war für ihn, Gemüse zu putzen.

Christine war mager und wirkte erschöpft. Ich konnte gleich sehen, daß sie sich angestrengt hatte, um uns zu empfangen. Ihre Kleiderwahl, das Gesicht, das glänzte, das sorgfältig gebürstete Haar. Bei ihr war es wie bei allen anderen Aidskranken, denen ich auf dieser Reise begegnete: das Letzte, das sie verließ, war die Würde. Es war die letzte Bastion, die bis aufs äußerste verteidigt werden mußte. Danach gab es nur noch den Tod, und der kam oft schnell, wenn die Würde erst einmal verloren gegangen war.

Christine sagte:

- Ich habe eine Tochter.

Wir saßen auf zwei braunen Schemeln im Schatten hinter dem offenen, aber überdacht ... Leseprobe

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