Beschreibung
Pilgerreisen erfreuten sich im Mittelalter großer Beliebtheit. Einerseits erfuhren ferne Länder, durch literarischen Austausch zunehmend bekannter gemacht, gesteigertes Interesse, andererseits wollte man als gläubiger Christ an einer heiligen Stätte für sein Seelenheil beten und dort Ablass erhalten. Es begaben sich vermutlich mehr Menschen auf Pilgerfahrt, als man aufgrund schwieriger Bedingungen und Unannehmlichkeiten annehmen dürfte. Zudem war auch die Erlaubnis eines hohen Geistlichen erforderlich, um die Reise antreten zu dürfen. Dadurch blieb vielen Menschen die Möglichkeit auf Wallfahrt zu gehen verwehrt, wie beispielsweise Frauen, auch Nonnen, Arbeitenden und Armen. Das Genre der geistlichen Pilgerfahrten, zu dessen Vertretern 'Die Sionpilger' des Ulmer Dominikaners Felix Fabri gehört, entstand, damit auch diesen Menschen der Erhalt des Ablasses möglich gemacht werden konnte. Die Sionpilger ist eine geistliche Pilgerreisebeschreibung, die nicht nur die Reise und eine Beschreibung der Grabeskirche in Jerusalem wiedergibt, sondern speziell für mental Reisende konzipiert wurde.
Autorenportrait
Antonia Riedel, B.A., wurde 1989 in Bochum geboren. Zurzeit arbeitet sie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf auf den Abschluss Master of Arts in Germanistik hin. In ihren wissenschaftlichen Arbeiten verbindet sie die germanistische Mediävistik mit sprachwissenschaftlichen Fragen.
Leseprobe
Kapitel 2.5, Tag 63:Im ersten Teil der Arbeit hat sich bereits gezeigt, dass Fabri seinen Text an die speziellen Bedingungen einer mentalen Pilgerfahrt angepasst hat. In diesem Kapitel wird die Beschreibung der Grabeskirche, eines Stationenraumes, nachvollzogen, um zu sehen, ob er auch hier die begrenzte Wahrnehmung der Sionpilger berücksichtigt. Die Pilger sind vor der Grabeskirche versammelt, bei deren Eintritt die Ritterpilger jedoch benachteiligt sind: sie müssen Zölle bezahlen, die Sionpilger hingegen können frei eintreten. Die Priester ordnen eine Prozession an, und mit Gesang betreten die Pilger die Kapelle. Nach und nach betreten die Pilger die einzelnen Kapellen, in denen sie auch direkt beten. Fabri schildert dazu die einzelnen Geschichten der Heiligtümer, wodurch eine Orientierungsmöglichkeit gegeben wird. Entfernungsangaben werden jedoch weitestgehend vernachlässigt. Fabri bedient sich nur gelegentlich der indirekten Distanzangabe durch Treppenstufen: ain stieg xviij staffel hoch, und der Ferne ausdrückenden Konstruktion nit wÿt dar von. Fabri nutzt richtungsweisende Angaben, wie in, heruß/vß/von/ab, zuo/gegen, vnder/her ab, durch und heruft/hoch. Zusätzlich orientiert er sich stark an schon Beschriebenem. Dies zeigt sich in der Verwendung von nebet, vff der andern sÿten und bÿ. Dabei wird er nur einmal deutlicher: In der capell vff der rechten sÿten. Auch Fabri bewegt sich durch den Raum. Der Weg durch die Kirche wird von einer Art heterodiegetischem Erzähler beschrieben, der die Positionen der Heiligtümer erklärt und mit Erläuterungen versieht. Persönliche Begebenheiten schildert Fabri nicht, aber er beschreibt, wie die Pilger die verschiedenen Kapellen betreten und dort, teilweise allein, beten und so aktiv Kontakt mit der Kirche und den Heiligtümern aufnehmen. Zrenner bemerkt, dass Fabri schon im Evagatorium heilige Stätten aus der Sicht der Pilger schildert, anstatt sie objektiv zu beschreiben. In Die Sionpilger baut Fabri jedoch eine sprachliche Distanz zwischen seiner Erzählerfigur und den Pilgern auf. Dadurch verschafft er den Rezipienten ein ungehindertes Leseerlebnis, ohne die Ablenkung persönlicher Begebenheiten, welche von der demütigen Wallfahrt ablenken würden. Als die Pilger sich vor der Kapelle des Heiligen Grabes befinden, spricht Fabri sie das erste Mal direkt an. Er ruft den Pilger dazu auf, sich aufzurichten und bewusst in das Heilige Grab einzutreten: Ach and?chtiger aller liebster bilgrin richt dich ietz vff. Eine genaue Beschreibung jedoch möchte Fabri hier nicht angeben, da er sie schon im Evagatorium getätigt hat: Wie aber das hailig grab vnd ander stett ain gestalt haben das beschribt klerlich fff in sinem euagatorium da gang vber vnd liß. Zusätzlich beschreibt Fabri einige mythische Begebenheiten, wie ein Weihwasserbecken, in dem man die Seelen im Fegefeuer schreien hören kann oder den süßlich-heilenden Geschmack eines bestimmten Raumes. Fabri lobt auch die Akustik einiger Kapellen, die die Pilger zum Singen anregt. Diese Erzählkomponenten gehören zu eine den Charakteristika einer Pilgerreisebeschreibung, dürfen also auch in einer geistlichen Pilgerfahrt nicht fehlen.Fabri nutzt kaum Richtungs- oder Entfernungsangaben. Auch konstituiert er die einzelnen Kapellen nicht durch ihren Aufbau, sondern durch ihre heiligen Hintergrundgeschichten.
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