Beschreibung
'Ohne Zweifel wäre es nun für uns Neutrale das einzig Richtige, nach allen Seiten hin die nämliche Distanz zu halten', schreibt Carl Spitteler 1914 in seiner Rede 'Unser Schweizer Standpunkt'. Doch was heißt das schon: die nämliche Distanz. Soll man sich also nicht einmischen? Oder bietet gerade die Neutralität eine Chance, sich zu engagieren? Aktiv zu werden? Spitteler verfasste seine Rede kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, inmitten des 'Klangs der Kriegstrompete' und 'militärischer Kommandorufe'. Solche Klänge sind auch heute noch zu vernehmen, hundert Jahre nachdem der Dichter mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden ist; wenn auch ungleich diffuser und komplexer. Acht bekannte Schweizer Autorinnen und Autoren reflektieren hier Spittelers Rede aus heutiger Perspektive und entwickeln dabei ihre jeweils eigenen, neuen Standpunkte: Wie steht es heute um den Wert der Neutralität, um das Verhältnis der Schweiz zu ihren europäischen Nachbarn? Was bedeuten Engagement und Enthaltung in Zeiten humanitärer Katastrophen und weltweiter Migration? Haben Nationen noch Sinn? Grenzen? Und wie steht es derweil um den Zusammenhalt im eigenen Land, um die Überwindung der Sprachgrenzen, die Spitteler doch so sehr am Herzen lag?
Autorenportrait
Carl Spitteler, 1845 in Liestal geboren, ging nach einem Theologiestudium nach Russland, wo er acht Jahre lang als Hauslehrer arbeitete. 1880 erschien mit Prometheus und Epimetheus sein erstes literarisches Werk. Er unterrichtete an höheren Schulen in Bern, Zürich und La Neuveville und schrieb zahlreiche Feuilletonbeiträge für Zeitungen im In- und Ausland. 1920 erhielt er, rückwirkend auf das Jahr 1919, den Nobelpreis für Literatur. Spitteler starb 1924 in Luzern.