Beschreibung
Mit diesem Faszikel liegt der große Mainzer Predigtzyklus vom Jahre 1446 vollständig vor. Außerdem enthält er Predigten bzw. Predigtentwürfe, die zwar von Nikolaus nicht datiert sind, in etwa jedoch auch nach der Meinung von Josef Koch in den Zeitraum von 1446-1448 gehören. Die Anordnung der Sermones folgt der von Rudolf Haubst 1986 in MFCG 17 und 1991 in h XVI/0 vorgenommenen Zählung. Dieser Versuch von Rudolf Haubst, die hier edierten Sermones chronologisch alle in das Jahr 1446 einzureihen, kann höchstens als eine Vermutung gewertet werden; manchmal sind Zweifel angebracht, vor allem dann, wenn sich daraus ergibt, dass Nikolaus an ein und demselben Tag gleich dreimal gepredigt haben soll, so bei den Sermones LXII-LXIV und bei den Sermones LXV-LXVII. dass er zweimal gepredigt hat, wissen wir, weil er es meist dann selbst vermerkt, z.B. bei Sermo LXV. Bei den Sermones LXIII, LXXII und LXXIII ist die Haubstsche Datierung ebenfalls äußerst zweifelhaft, da diese Predigten nur in der Handschrift G überliefert sind, die aller Wahrscheinlichkeit nach erst nach 1452 entstanden sein kann. Problematisch ist auch der Versuch, die Kirchweihpredigt, Sermo LXIX, und den Entwurf zu einer Kirchweihpredigt, Sermo LXX, auf Tage im Juli des Jahres 1446 zu datieren. Die Argumentation von Haubst läuft darauf hinaus, dass sie wegen der darin vorkommenden Brautmystik in einem Frauenkloster gehalten wurden, und zwar im Kloster Schönau im Taunus. Nun war Schönau aber ein Doppelkloster mit einem Frauen- und einem Männerkonvent, und beide hatten ihre eigene Kirche mit einem jeweiligen Kirchweihfest. Zwar fiel ein Kirchweihfest in den Juli, aber es war das Kirchweihfest des Männerkonventes. Der Frauenkonvent hatte sein eigenes Kirchweihfest im Januar. Die Einreihung dieser undatierten Sermones hat allerdings insofern Sinn, weil so thematisch und liturgisch nach den jeweiligen Festen des Kirchenjahres zusammengehörige Predigten auch zusammenstehen. Dadurch dass Nikolaus diese Predigten mehrfach an Interessenten zum Abschreiben ausgeliehen hat, sind die meisten von ihnen auch in mehreren Handschriften überliefert, einmal, bei Sermo LXII, in bis zu 8 bzw. 9 Textzeugen. Das zeigt sich auch im kritischen Apparat, der daher mühevoll zu erstellen war, vor allem bei den sehr schwer lesbaren Handschriften aus dem Kloster Tegernsee und der aus dem Kloster St. Peter in Salzburg. Zugleich dokumentiert der Apparat daher die Überlieferungsgeschichte des Textes. Die Wertschätzung, die Nikolaus diesen Sermones entgegengebracht hat, zeigt auch die Tatsache, dass Cusanus zwei Sermones aus dem Mainzer Zyklus umgearbeitet hat: Sermo LXII zu einem theologischen Traktat, De sacramento, und Sermo LXVIII zu einem religiösen Dialog, De visitatione. Thematisch liturgisch reihen sich die Predigten den in Faszikel 4 edierten an. Dem kirchlichen Jahreskreis entsprechend beginnen sie mit drei Fronleichnamspredigten, Sermones LXII-LXIV. Daran schließen sich drei Predigten zum Fest des Heiligen Johannes des Täufers. Es folgen zwei undatierte Predigten zum Thema der Kirchweihe, Sermo LXIX und LXX, die von Rudolf Haubst hier eingeschoben worden sind. Daran schließt sich wieder eine datierte Predigt zum Fest Mariae Heimsuchung an, Sermo LXXI, mit dem von Nikolaus in seinen Predigten oft behandelten Thema »Maria optimam partem elegit«. Es folgen wieder zwei undatierte Predigten, eine zu einem dreizehnten Sonntag nach Trinitatis, Sermo LXXII, und eine zu einem vierten Adventssonntag, Sermo LXXIII. Die letzten beiden Predigten, Sermo LXXIV und Sermo LXXV, sind wieder datiert. Es sind die letzten, die Nikolaus in Koblenz vor seiner Abreise nach Rom zur Kardinalserhebung gehalten hat. Die erste ist 1448 noch vor der Kardinalsernennung, die zweite 1449 schon nach derselben gehalten.
Autorenportrait
Nikolaus von Kues (Nicolaus Cusanus) kommt 1401 im heutigen Bernkastel-Kues zur Welt. Nach kurzem Studium der freien Künste in Heidelberg widmet er sich an der Universität Padua dem Kirchenrecht. Nach der Priesterweihe um 1440 wird Nikolaus 1448 zum Kardinal ernannt. 1433 verfaßt Nikolaus auf dem Basler Konzil seine erste grundlegende Schrift De concordantia catholica, in der er als Jurist und Theologe eine neue Ekklesiologie, eine allgemeine Konzils- und Staatstheorie sowie eine darauf aufbauende Reichsreform entwirft. Die erste von Nikolaus zur Veröffentlichung bestimmte philosophisch-theologische Schrift De docta ignorantia ist grundlegend für das Verständnis seines Denkens. Hier entwickelt er seinen berühmt gewordenen Begriff der "coincidentia oppositorum" der theologisch von der Suche nach Gott und philosophisch von der Jagd nach Weisheit geleitet ist. Mit der Einsicht in das Nichtwissen des Wissens distanziert sich Nikolaus von der ontologisch bedingten Erkenntnismetaphysik der Hochscholastik, um ein neuzeitliches Wahrheitsverständnis zu begründen. Nikolaus von Kues verbringt die letzten sechs Jahre seines Lebens am Hofe des Papstes in Rom und stirbt 1464.