Beschreibung
Was es auf sich hat mit dem Freudschen Narzißmusbegriff, das stellte sich erst allmählich immer bedeutsamer heraus, und erklärt damit vielleicht, warum, auch bei Gegnern und Dissidenten, der Name so wenig diskutiert wurde, als deckten bereits sonstige Benennungen den gleichen Begriff. Ursprünglich, solange Narzißmus tautologisch für Autoerotismus stand, war das ja in der Tat der Fall; als Freud ihn dann übernahm, zur Kennzeichnung jener Libidophase, wo, nach autoerotischer Selbst- und Weltverwechslung des Säuglings, die erste Objektwahl auf das Subjekt selber fällt, da rührte er dadurch zugleich schon an ein weiterreichendes Problem: "Das Wort Narzißmus will betonen, daß der Egoismus auch ein libidinöses Problem sei, oder, um es anders auszudrücken, der Narzißmus kann als die libidinöse Ergänzung des Egoismus betrachtet werden." (Freud, Metaps. Erg. d. Trl.) Also kein Beschränktsein auf einzelnes Libidostadium, sondern als unser Stück Selbstliebe alle Stadien begleitend; nicht primitiver Ausgangspunkt der Entwicklung nur, sondern primär im Sinne basisbildender Dauer bis in alle spätern Objektbesetzungen der Libido hinein, die darin ja, nach Freuds Bild dafür: nur, der Monere gleich, Pseudopodien ausstreckt, um sie nach Bedarf wieder in sich einzubeziehen. Allerdings stellte Freuds Einführung des Narzißmusbegriffs in die theoretische Psychoanalyse von vornherein zu dessen Definition fest, daß die psychischen Energien: "im Zustande des Narzißmus beisammen und für unsre grobe Analyse ununterscheidbar sind, und daß es erst mit der Objektbesetzung möglich wird, eine Sexualenergie, die Libido, von einer Energie der Ichtriebe zu unterscheiden." Mithin als Grenzbegriff gesetzt, über den Psychoanalyse nicht hinaus kann, bis zu dem hin sie jedoch therapeutisch zu dringen hat, als dem Punkt, wo krankhafte Störung erst ganz sich zu lösen, Gesundheit sich zu erneuen vermag, weil "krank" und "gesund" daran letztlich falsche oder rechte Aufeinanderbezogenheiten der zwei innern Tendenzen bedeuten, je nachdem diese sich hemmen oder fördern.
Indem beides sich am personellen Träger vollzieht, grenzt es, mit dessen steigender Bewußtheit seiner selbst, sich desto undeutlicher voneinander ab: macht den Umstand immer noch unmerklicher, daß im libidinös Gerichteten sich etwas durchsetzt, was der Einzelperson als solcher entgegengerichtet bleibt, was sie löst, zurücklöst in dasjenige, worin sie vor ihrer Bewußtheit noch für alles stand, wie alles gesamthaft für sie. Denn sollen Icherhaltungs-, Selbstbehauptungstriebe sich von libidinösen überhaupt begrifflich streng trennen, so kann Libido nichts anderes besagen als eben diesen Vorgang: diesen Bindestrich zwischen erlangter Einzelhaftigkeit und deren Rückbeziehung auf Konjugierendes, Verschmelzendes; im narzißtischen Doppelphänomen wäre sowohl die Bezugnahme der Libido auf uns selbst ausgedrückt als auch unsere eigene Verwurzelung mit dem Urzustand, dem wir, entsteigend, dennoch einverleibt blieben, wie die Pflanze dem Erdreich, trotz ihres entgegengesetzt gerichteten Wachstums ans Licht. Wie wir ja auch in den Körpervorgängen die geschlechtliche Weitergabe gebunden sehen an indifferenziert bleibende kleinste Totalitäten, und wie in unseres Körpers "erogenen Zonen" Überlebsel wirksam sind eines Infantilstadiums, aus dem die Organe sich längst in Dienstbarkeit der Icherhaltung aufteilten(1). Die Frage lautet auch gar nicht: ob's theoretisch vielleicht doch angängig sei, den narzißtischen Doppelsinn eindeutig zu fassen, sei es, den Ichtrieb der Libido zu überantworten (als entspräche z. B. auch das Ernährungsbedürfnis noch einer Art von Konjugation mit dem Außer-uns), oder umgekehrt die Libido dem Bemächtigungsbestreben des einzelnen (als einer Ich-Habgier), zu unterstellen.
Autorenportrait
Lou Andreas-Salomé, auch Henri Lou, Ljola von Salomé, geboren in St. Petersburg und gstorben in Göttingen, weitgereiste Schriftstellerin, Erzählerin, Essayistin und Psychoanalytikerin aus russisch-deutscher Familie, erlangte durch ihr literarisches Schaffen im Bereich der Religion, Philosophie und Kulturwissenschaft Bekanntheit.
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