Beschreibung
War die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre vermeidbar? Haben Politiker wie Heinrich Brüning in Deutschland oder Herbert Hoover in den USA durch ihr Handeln die Krise verschärft und damit Millionen von Menschen in Armut gestürzt? Oder haben sie - schlimmer noch - den Aufstieg extremistischer Regierungen befördert? Können wir aus der Weltwirtschaftskrise lernen und durch »richtiges« Handeln in der Finanzkrise von heute einen vergleichbaren Absturz verhindern? Ökonomische Krisen - so eine der Thesen der drei Autoren - kehren zwar einerseits immer wieder, sind andererseits aber schwer kalkulierbar, da jede ihre eigene spezifische Prägung hat. Ihre Ursachen, Mechanismen und Folgen lassen sich aber beschreiben - und daraus kann man Schlüsse ziehen. In diesem Buch wird am Beispiel der Weltwirtschaftskrise, die auf den Zusammenbruch der New Yorker Börse von 1929 folgte, deutlich: Aus einer Abfolge volkswirtschaftlicher Einzelkrisen entstand in einer international verflochtenen Wirtschaft ein ökonomischer Flächenbrand, der - trotz oder wegen der Bemühungen der Politik - rasch in die entlegensten Winkel der Welt ausstrahlte und die herkömmliche Ordnung zerstörte.
Autorenportrait
Jan-Otmar Hesse ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Bayreuth. Roman Köster, PD Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr München. Werner Plumpe ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität in Frankfurt am Main. Von 2008 bis 2012 war er Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands.
Leseprobe
Vorwort Die Wirtschaftskrise der Zwischenkriegszeit war, daran besteht kein Zweifel, wegen ihres Ausmaßes und ihrer Folgen das gravierendste Ereignis der jüngeren Wirtschaftsgeschichte. Sie hat nicht nur unser Verständnis der modernen Wirtschaftsentwicklung geprägt und dabei eine tiefe Skepsis hinterlassen, dass solche tiefen globalen Wirtschaftskrisen jederzeit wiederkehren können. Auch die Erwartungen an die wirtschaftliche Rolle des Staates haben sich fundamental gewandelt. Der liberale Optimismus des 19. Jahrhunderts jedenfalls ist seither geschwunden. Im Gegenteil: Heute verlangen die Bürger vom staatlichen Handeln Schutz, sei es durch kluge vorbeugende Maßnahmen oder durch umfassende Hilfen angesichts der sozialen Folgen von Wirtschaftskrisen. So richtete man während der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise rasch umfassende Erwartungen an die Adresse des Staates - und das nicht etwa nur aus dem Lager der Anhänger sozialpolitischer Maßnahmen, sondern auch von Seiten der Unternehmer. Die Forderungen wurden auch damit begründet, dass der Staat ein Desaster wie die Entwicklung nach 1929 um fast jeden Preis verhindern müsse. Schließlich war die Erfahrung der Weltwirtschaftskrise auch deshalb so einschneidend, weil sie in der Tat ein weltweites Phänomen war und nicht ohne weiteres auf regionale Besonderheiten oder nationale Fehlentwicklungen zurückgeführt werden konnte. Gerade ihre Globalität begründete ihre Wirkung und bestimmt unser Denken seither. Umso erstaunlicher ist es, dass - trotz einer nicht mehr zu überschauenden Fülle an Forschungsbeiträgen - Darstellungen, die den ökonomischen und wirtschaftshistorischen Forschungsstand zusammenfassen und eine entsprechende Erläuterung der Ursachen, des Verlaufes und der Folgen der Krise geben, zumindest im deutschen Sprachraum selten geblieben sind. Dies mag mit Paul A. Samuelsons fast resignierender Beobachtung zu tun haben, nach der die Weltwirtschaftskrise sich vor allem einer unglücklichen Verkettung verschiedener Faktoren verdankt, die eine einfache Darstellung erschweren; allein die Zusammenfassung der bisherigen Literatur zu den Krisenursachen steht vor dem Problem, in einem nicht leicht zu entwirrenden Dickicht konkurrierender Interpretationen den roten Faden zu entdecken. Andererseits aber ist die Bedeutung der Krise zu groß, um nicht zumindest den nachfolgenden Versuch zu wagen. Mit dem vorliegenden Buch beabsichtigen wir keine Enzyklopädie der Großen Depression zu schreiben. Wir legen vielmehr eine typisierende Darstellung einer Krise sowohl in ihrer Regelhaftigkeit als auch in ihren jeweiligen nationalen Besonderheiten vor. Daher betrachten wir vor allem jene Staaten und Regionen genauer, die sich im Fokus der Krise befanden, während Länder, die von der Krise kaum oder gar nicht betroffen waren (wie etwa Japan), eher am Rande bleiben. Auch lässt die historische Wirtschaftsstatistik ein zugleich umfassendes und detailliertes quantitatives Bild des Krisenverlaufes bisher nicht zu, und es war außerhalb unserer Möglichkeiten, hier durch eigene Arbeit Abhilfe zu schaffen. Aber die vorliegenden statistischen Befunde sind bei allen Vorbehalten auch nicht so schlecht, dass sie nicht für die Argumentation hätten herangezogen werden können. Der Aufbau der Studie ist entsprechend unserer typisierenden Argumentation angelegt. Wir beginnen mit einer allgemeinen Übersicht über die Krise und diskutieren danach deren Überraschungswert für die Zeitgenossen, deren Erwartung an die konjunkturelle Entwicklung noch weitgehend durch die ökonomischen Vorstellungen des liberalen 19. Jahrhunderts und die sich von dort herleitenden politischen Vorstellungen geprägt war. Die Krise war - und das ist uns sehr wichtig - eben nicht nur ein tiefer Einschnitt in der wirtschaftlichen Leistung; sie traf die wesentlichen Akteure der Zeit auch unvorbereitet, auf dem falschen Fuß, und machte sie teilweise hilflos. An diese Eröffnung schließt sich ein Kapitel zu den strukturellen Belastungen der Weltwirtschaft der Zwischenkriegszeit an, in dem einerseits die Folgen des Krieges, andererseits die Folgen jener Maßnahmen betrachtet werden, die ergriffen wurden, um die Nachkriegswirtschaft zu stabilisieren. Dabei ragt der Goldstandard als internationale Währungsordnung in jeder Hinsicht heraus. Rekonstruiert, um an die Vorkriegsprosperität anknüpfen zu können, wurde er zu einer Art tragischem Band der Weltwirtschaft, über das sich die Krise global ausbreiten konnte. Diesen Überlegungen folgt dann die Betrachtung der Krise in einzelnen Ländern nach der Reihenfolge, in der sich die Länder von den "goldenen Fesseln" (Barry Eichengreen) befreit haben, beginnend mit Deutschland, Großbritannien bzw. dem britischen Empire und fortsetzend mit den USA und Frankreich. Zwei Schlaglichter auf Länder, die dem Goldstandard nicht unterworfen waren, China und schließlich die Sowjetunion, beschließen dieses Kapitel. Das ist, wie gesagt, kein vollständiges Panorama der Weltwirtschaftskrise - so bleibt nicht nur Japan am Rande, sondern auch Lateinamerika. Diese Auswahl ermöglicht aber doch einen klaren Blick auf die maßgeblichen regionalen Krisenverläufe, durch die wiederum die Darstellung der Krise als Weltwirtschaftskrise Kontur gewinnt. Dieser Krisengeschichte folgt dann eine pointierende Diskussion der Krisenursachen, namentlich auch eine Rekonstruktion der bis heute geführten Auseinandersetzungen um das Wesen der Krise und der mit einer jeweiligen Diagnose verbundenen Erwartungen an das wirtschaftspolitische Handeln des Staates. Seit der Weltwirtschaftskrise war Krisendiagnostik in der großen Mehrzahl der Fälle immer beides: Ursachenanalyse und Therapievorschlag, zum Teil untrennbar ineinander verschmolzen. Das zeigt noch die gegenwärtige Krisendebatte, die sich auf die Weltwirtschaftskrise von 1929 auch deshalb bezieht, weil sie so ein größeres Reservoir an Argumenten anzubieten glaubt, um die jeweils gewünschte Krisenpolitik zu legitimieren. Mit Überlegungen hierzu schließt das Buch, dessen Verfasser sich selbst mit Ratschlägen zurückhalten. Schließlich lehrt die Geschichte, dass nichts zweimal geschieht - und es daher auch schwer ist, ihr Rezepte zu entnehmen. Das Buch geht zurück auf die Erstellung eines Kursheftes für die Fernuniversität Hagen, die die Verfasser noch kurz vor der Finanzkrise begonnen hatten. Das Thema haben wir seitdem in zahlreichen gemeinsamen Diskussionen untereinander, aber auch mit vielen Freunden, Kollegen und Studenten über einen längeren Zeitraum vertieft. Ihnen allen gilt unser Dank, auch wenn es nicht möglich ist, hier allen einzeln zu danken. Diejenigen, die großen Einfluss hatten, werden aber auf jeden Fall wissen, dass und inwiefern sie gemeint sind. Fehler gehen selbstverständlich auf unser Konto. Frankfurt am Main und München, im Sommer 2014 1. Die Weltwirtschaftskrise als historisches Ereignis und konzeptionelles Problem Als im Oktober 1929 in New York die Blase am Aktienmarkt platzte, ahnte zunächst kaum ein Betrachter, dass die bis auf den heutigen Tag tiefste Wirtschaftskrise ausbrechen würde, in deren Ergebnis sich das Antlitz der Weltwirtschaft, ja der Weltpolitik grundlegend verändern sollte. Die meisten Zeitgenossen gingen vielmehr davon aus, dass es sich um einen normalen wirtschaftlichen Abschwung handelte, ausgelöst und verstärkt durch das Ende einer spekulativen Blase. Dieses Ereignis war zweifellos bemerkenswert, zumal es die vermeintlich "goldenen zwanziger Jahre" abrupt beendete und mit aus den Fenstern springenden Börsenhändlern auch spektakuläre Bilder lieferte. Aber das Ausmaß des konjunkturellen Einbruchs schien doch überschaubar, zumal es die Weltwirtschaft regional ganz unterschiedlich betraf. Das Jahr 1930 war wirtschaftlich schwierig: Vor allem in den USA und im Deutschen Reich ging die wirtschaftliche Gesamtleistung um mehr als fünf Prozent zurück, die Arbeitslosigkeit stieg, und in manchen Branchen, besonders in der Landwirtschaft, waren die Zustände überaus unerfreulich....
Schlagzeile
Der große Crash