Beschreibung
Deutschland hallt wider von Kassandrarufen zur Zukunft der Nation. Überwiegend beruhen sie auf journalistischen Eingebungen oder dem politischen Kalkül unterschiedlicher Interessengruppen. Sozialwissenschaftliche Gegenwartsdiagnosen dagegen spielen in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle: ein Mangel, den dieses Buch beseitigt. Namhafte Autorinnen und Autoren haben in 20 pointierten Essays ein Bild der deutschen Gesellschaft gezeichnet, und zwar entlang der Gegensätze, die auch im Alltagsverständnis die Wahrnehmung der sozialen Welt prägen: arm/reich, erwerbstätig/arbeitslos, alt/jung, Eltern/Kinderlose, gläubig/ungläubig, Deutsche/Nichtdeutsche, Ost/West,Nord/Süd,Frauen/Männer,Gewinner/ Verlierer, Kapital/Arbeit u. a.
Autorenportrait
Stephan Lessenich ist Professor für Gesellschaftstheorie und Sozialforschung an der Universität Frankfurt sowie Direktor des Instituts für Sozialforschung. Frank Nullmeier ist seit 2002 Professor für Politikwissenschaft am SOCIUM - Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen. Er ist Mitglied des Sonderforschungsbereiches 'Globale Entwicklungsdynamiken der Sozialpolitik' und ist dort Projektleiter des Projektes 'Mechanismen der Verbreitung von Sozialpolitik'. Seine zentralen Forschungsinteressen liegen auf den Gebieten der interpretativen Politikanalyse, der Politischen Theorie und der Sozialpolitikanalyse. Er ist Mitherausgeber des Oxford Handbook of Transformations of the State (2015) und des 'Handbuch Digitalisierung in Staat und Verwaltung' (2020).
Leseprobe
Aus der Einleitung: Bei der Bundestagswahl im September 2005 zeigte sich Deutschland von seiner gespaltenen Seite. Die beiden großen Volksparteien konnten praktisch gleich viele (oder wenige) Zweitstimmen auf sich vereinigen, und die Landkarte mit der Verteilung der Direktmandate zwischen Christ- und Sozialdemokratie teilte Deutschland in eine schwarze und eine rote Hälfte. Doch nach dem Willen beider Seiten sollte die sichtbare Spaltung Deutschlands in zwei politische Lager nicht von allzu langer Dauer sein. Den obligatorischen wahlabendlichen Abgrenzungsreflexen (einschließlich des unmittelbar legendär gewordenen, aggressiv-autistischen Auftritts des bis dahin amtierenden Bundeskanzlers) folgte alsbald der Ruf nach Konsens und nach der Zusammenarbeit der beiden Großparteien im Interesse eines höheren Gutes namens Gemeinwohl. Die seither bestehende Große Koalition bindet Christ- und Sozialdemokraten - bisweilen mehr schlecht als recht, aber im Grundsatz doch - institutionell, personell und legitimatorisch aneinander und symbolisiert zugleich den parteiübergreifenden Willen, Deutschland aus der (interessen-)politischen Selbstblockade zu befreien. Die Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006 hat die beiden aus der Bundestagswahl hervorgegangenen politischen Impulse zumindest kurzfristig verstärkt: Das überraschend erfolgreiche Abschneiden der gastgebenden (mit amerikanischen Methoden wiederbelebten) Nationalmannschaft wurde in breiten Kreisen der Öffentlichkeit als Ausweis und Initialzündung deutscher Reformfähigkeit gedeutet. Zugleich diente die allgemein - und offenbar nicht nur in Deutschland selbst - als ebenso untypisch wie erlösend empfundene Begeisterung der Deutschen für ihre Elf und deren Trainer als endlich sicht- und spürbares Zeichen jener gesellschaftlichen Einheit, die das Land nach 1989, allen finanziellen Bemühungen und politischen Sonntagsreden zum Trotz, nicht hat herstellen können. Wird also für das damals kurzzeitig glücklichste Volk der Welt am Ende doch noch alles gut? Der Blick des vorliegenden Bandes geht weiter. Indem er die Phänomenologie deutscher Spaltungen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt, befragt er die deutsche Gesellschaft - oder genauer: die deutsche Sozialwissenschaft als deren professionelle Beobachtungs- und Beschreibungsinstanz - nach der theoretischen und empirischen Plausibilität gesellschaftlicher Einheitsvorstellungen. Seine 20 Autoren und Autorinnen beschreiben soziale Differenzierungs-, Spannungs- und Konfliktlinien dieser Gesellschaft, die die Frage nach ihrer Einheit auf eine veränderte Grundlage stellen. Ihre hier versammelten Beiträge zu gesellschaftlichen Gegensätzen beziehungsweise Entgegensetzungen, die - so die Ausgangsannahme - auch das Alltagsbewusstsein der auf deutschem Territorium Lebenden strukturieren, sollen zum einen die zeitdiagnostische Kraft sozialwissenschaftlicher Analyse erweisen. Und sie dienen zum anderen dazu, die politisch und gesellschaftlich - aber eben nicht zuletzt auch sozialwissenschaftlich - reproduzierte Idee einer Einheit der deutschen Gesellschaft in Frage zu stellen. Die Lektüre der 17 auf diese Einleitung folgenden Abhandlungen ergibt vielmehr, jedenfalls in der Wahrnehmung und Interpretation der Herausgeber dieses Bandes, das mosaikartige Bild von Deutschland als einer Gesellschaft, die Einheit allenfalls in der Vielzahl ihrer politischen und kulturellen, materiellen und symbolischen Spaltungen und Abspaltungen findet.
Inhalt
nhalt Einleitung: Deutschland zwischen Einheit und Spaltung 7 Stephan Lessenich und Frank Nullmeier Arm - Reich28 Hans-Jürgen Andreß und Martin Kronauer Beschäftigt - Arbeitslos53 Wolfgang Bonß Sicher - Prekär73 Berthold Vogel Kapital - Arbeit92 Heiner Ganßmann Alt - Jung115 Martin Kohli Frauen - Männer136 Christine Wimbauer Eltern - Kinderlose58 Claus Leggewie Gebildet - Ungebildet175 Heike Solga und Justin Powell Elite - Masse 191 Michael Hartmann Ost - West209 Karl-Siegbert Rehberg Nord - Süd234 Karl Friedrich Bohler und Bruno Hildenbrand Stadt - Land256 Hartmut Häußermann Deutsche - Ausländer 273 Dietrich Thränhardt Gläubig - Ungläubig295 Heinz Bude Links - Rechts 313 Frank Nullmeier Beweglich - Unbeweglich336 Stephan Lessenich Gewinner - Verlierer 353 Sighard Neckel Autorinnen und Autoren372
Schlagzeile
Analyse statt Alarmismus