Beschreibung
'Keine einzige Freude konnte dich jemals glücklich machen'Ritas Mutter, eine einfache Frau aus Katalonien, hat in ihrem Leben nur eine einzige freie Entscheidung gefällt: Sie heiratete einen Mann, der nicht aus ihrem Dorf stammte, und verzichtete damit auf ihr Erbe. Doch warum ist ihr Leben geprägt von Trauer und unterdrückter Wut? Rita versucht, dem Geheimnis ihrer Mutter auf die Spur zu kommen, und muss sich zugleich von ihr lossagen, um selbst ein glücklicheres Leben führen zu können. Ein ergreifender Roman über auseinanderbrechende Traditionen und eine intensive Suche nach verborgener Liebe.In Katalonien mit dem angesehenen 'Prudenci-Bertrana-Preis' ausgezeichnet.
Autorenportrait
Maria Barbal, 1949 in Tremp (Pyrenäen) geboren, lebt heute in Barcelona. Sie gilt als eine der wichtigsten katalanischen Autorinnen der Gegenwart und wurde mit zahlreichen bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet. Ihr Debütroman "Wie ein Stein im Geröll" erlebte seit der Erstveröffentlichung 1985 bereits fünfzig Auflagen und wurde in mehrere Sprachen übersetzt.
Leseprobe
Keine einzige Freude konnte dich jemals glücklich machen.Jede Familie hat ihre eigene Art zu reden und zu schweigen, das stimmt wohl, doch wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, was du von mir erwartet hast. Du hast mich zur Zurückhaltung erzogen, sie sollte mir gerade die richtige Form geben, so wie die Luft, mit der man einen Ballon aufbläst. Bestimmt wolltest du mich dadurch vor Schaden bewahren. Von spitzen Nadelstichen, die in null Komma nichts ganze Arbeit leisten, konntest du schließlich zur Genüge ein Lied singen. Ich musste "guten Tag" sagen und mich bedanken; waren wir unter Leuten, durfte ich mich nicht bemerkbar machen, wehe mir, wenn ich auch nur einen Mucks von mir gab!Schon bald spannte ich meine Flügel, um aus dem Nest zu fliegen. Ich muss sehr klein gewesen sein, die Nächte verbrachte ich noch in dem Gitterbett, das in eurem Schlafzimmer stand. Dieses Zimmer in unserer alten Wohnung, die mit der Dachterrasse, war voller Licht. Noch immer trage ich die Sonnenstrahlen in mir, die durch die Scheiben des Balkons und die hauchdünnen Vorhänge fielen und im Spiegel des Kleiderschranks zersprangen. Und auch durch das Fenster am Kopfende von meinem Bett strömte das Licht.Vor dem Zubettgehen musste ich beten. "Schutzengel, lieber Wächter mein, lass mich dir anbefohlen sein! Am Tag und in der langen Nacht halt über mir die stille Wacht!"An einem Abend hielt sich Vater gerade im Schlafzimmer auf, als du mich zu Bett brachtest. Ich war derart begeistert davon, die Worte nachzusprechen, die du mir vorsagtest, dass ich im Nu mit dem Beten fertig war. Noch immer klingt sein schallendesLachen in mir nach. Mir ist, als würde er als junger Bursche vor mir stehen, so wie ich ihn auf einer Fotografie gesehen habe: welliges Haar, ein weißes Feinrippunterhemd, aus dem die sehnigen Schultern eines schlanken und doch kräftigen Mannes mit sonnenverbrannten Armen herausragen. Völlig verdutzt hast du ihn angeschaut und mir dann einen strengen Blick zugeworfen, aber du wusstest nicht, was du sagen solltest. Vater und ich waren uns einig, und darum trugen wir einen Sieg über dich davon, wahrscheinlich zum ersten Mal.Vielleicht hast du ja ein Wunder erwartet.Während der ersten Jahre waren wir aber auch wie Pat und Patachon, so habe ich dich jedenfalls von zweien reden hören, die immer die Köpfe zusammenstecken.Du sprichst und dadurch bringst du mir das Sprechen bei, und es gibt genug von dir zu lernen, keine Frage. Die Kunst des lebendigen Ausdrucks beherrschst du wahrlich aus dem Effeff. Du bist schlagfertig und scharfsinnig, und diejenigen, die dir zuhören, amüsiert das, und manchmal verletzt es sie auch, aber noch habe ich das nicht am eigenen Leib erfahren. Kaum jemand kann dir "das Wasser reichen", wenn es um die Feldarbeit geht und um das Vieh, und ständig benutzt du Bilder, die damit zu tun haben.Am Nachmittag, wenn du die grobe Hausarbeit erledigt hast, weckst du mich aus dem Mittagsschlaf und machst dich ans Nähen oder Bügeln. Schon früh gibst du mir Stoffreste und zeigst mir, wie man mit Nadel und Faden umgeht. "Eine Frau, die nähen kann, ist die Zierde eines jeden Hauses." Dein Vater wollte, dass du nähen lernst, auch wenn du dafür einen weiten Weg auf dich nehmen musstest, eine Stunde hin, eine Stunde zurück. Aber du warst jung und energisch, so schnell konnte dich nichts schrecken, und den Weg bist du zusammen mit drei oder vier jungen Mädchen aus deinem Dorf gegangen. Einmal lauerte euch eine Gruppe verheirateter Männer auf, die wollten euch einen Schreck einjagen, und wer weiß, was sie sonst noch im Schilde führten. Das war im Herbst, wo es schon so früh dunkel wird, aber weil ihr euch in der Gegend gut auskanntet, seid ihr ihnen über einen dieser alten Pfade entkommen und habt sie ziemlich an der Nase rumgeführt. So für sich genommen, geben mir die Wörter noch nicht preis, was du eigentlich sagen willst, aber wenn Vater mir aus dem Pinocchio vorliest, muss ich immer voller Sympathie an diese verheirateten Männer denken, so al Leseprobe
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