Beschreibung
Wovon handeln Kafkas Geschichten? Sind es Träume, Allegorien, Symbole? Zahllose Lösungen wurden angeboten, doch es besteht der Verdacht, dass das Geheimnis im Wesentlichen unangetastet blieb. Dieses Buch mischt sich ein in den gewundenen Verlauf von Kafkas Fiktionen, will ergründen, warum K. und Josef K. - die Protagonisten von Kafkas "Schloß" und "Prozeß" - so radikal anders sind als alle anderen Figuren in der Geschichte des Romans - und schließlich auch, wer K. ist.
Autorenportrait
Roberto Calasso, 1941 in Florenz geboren, lebt als Schriftsteller und Verleger des Adelphi Verlags in Mailand. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen zuletzt: Der Traum Baudelaires (2012) und Glut (2015).
Leseprobe
Der Unterschied zwischen der Verwaltung des Gerichts und der des Schlosses zeigt sich auch in Stil und Manier. Bestechung, zum Beispiel, wird hier wie dort geübt. Im Gericht aber kann sie grobe und ungehörige Formen annehmen. Die Advokaten drängen sich um die -bestechlichen Angestellten-, stets in der Absicht, -Lücken- in der -strengen- - gleichsam hermetischen - -Abschließung des Gerichts- zu entdecken. Bisweilen - -in früherer Zeit- natürlich - hat es sogar Fälle von Aktendiebstahl gegeben. Bei den Angestellten des Schlosses dagegen scheint die Bestechung aus Gründen der Eleganz geduldet zu werden, um -unnötige Reden zu vermeiden-. Als könnten die Angestellten, die sich bestechen lassen, die Parteien, die nicht aufhören, sie zu belästigen, zum Schweigen bringen, indem sie ihnen die Illusion verschaffen, etwas Nützliches getan zu haben, auch wenn -man dadurch nichts erreichen kann-. Für die Verwaltung des Schlosses stellt sich die Bestechung wie ein Ablaß handel dar. Sie wird aber anscheinend nicht aus Interesse betrieben, sondern um eine gewisse Kohärenz und Klarheit der Verfahren zu gewährleisten und etwas zu vermeiden, was tiefe Abneigung erregen mußte: die -unnötigen Reden-. Von Anfang an erscheint K.s Verhalten -verdächtig-. Nicht ganz ohne Grund. Als er im Wirtshaus aus dem Schlaf auf einem Strohsack geweckt wird, sagt er: -In welches Dorf habe ich mich verirrt? Ist denn hier ein Schloß?- Aber schon wenige Augenblicke später gibt er zu, daß er genau weiß, wo er sich befindet: Er habe sich im Schloß bloß deshalb nicht gemeldet, weil es zu spät gewesen sei. Dieses Verhalten ähnelt demjenigen, das sich bei Kafkas Lesern beobachten läßt. Befremden, Verstörung, Staunen. Und doch wissen sie genau, wo sie sich befinden - und warum sie dort sind. Auf der Bettkante des Vorstehers sitzend (und in dieser Position werden auch K. und Josef K. noch oft von einer Enthüllung überrascht), muß Mizzi, seine unscheinbare Frau und Assistentin, ihrem Mann den Brief von Klamm an K. vorlesen. -Kaum hatte sie in den Brief geblickt, faltete sie leicht die Hände, , sagte sie.- Diese beiseite gesprochenen Wörter, die einem Seufzer ähneln, reichen aus, um die Ehrfurcht, die Klamms Name einflößt, ebenso anzudeuten wie die vielen Dinge, die nicht von ihm zur Sprache kommen. Das alles braucht nicht ausgeführt zu werden, es zu benennen, könnte schon bedeuten, es zu verkleinern. Dagegen zieht sich alles in diesen beiden Wörtern - -von Klamm- -, ein mitten im Satz sich ausbreitendes Flüstern, und in der kaum angedeuteten Geste des Händefaltens zusammen. Erst am Ende, wenn das Bein ihn erneut zu schmerzen beginnt, nimmt der Vorsteher Mizzi wieder zur Kenntnis. Sie hatte aber immer dort so gesessen und -spielte traumverloren mit Klamms Brief, aus dem sie ein Schiffchen geformt hatte-. K. entreißt ihr -erschrocken- den Brief. Er fürchtet, das kostbare Blatt könnte Schaden nehmen. Insgeheim aber erschreckt ihn beim Anblick dieses Papierschiffchens der kindliche Spott, der darin liegt. Ohne es sich einzugestehen, weiß er, daß es sich um eines der vielen Rätsel handelt, die, stets weiblichen Wesen anvertraut, ihn auf seinem Weg erwarten. Sehr oft werden sie nicht einmal als solche erkannt, gelöst werden sie nie. K. hatte lediglich den Wunsch, -als kleiner Landvermesser bei einem kleinen Zeichentisch ruhig zu arbeiten-. Er wollte keine besondere Hilfe, verlangte nicht nach Rettung. Doch gerade weil sein Wunsch bescheiden war, besaß er Sprengkraft. Vor allem weil K. - wie er dem Vorsteher ins Gesicht sagte - -keine Gnadengeschenke vom Schloß, sondern sein Recht- wollte. Das war der Ton eines freien Mannes, der sich nicht nur der Unterdrückung durch die Mächtigen entziehen will, sondern auch ihrem nicht weniger unverläßlichen Wohlwollen. Und er ergreift sogleich die Gelegenheit, einen Satz auszusprechen, der die Behörde besonders beleidigte. Sowie man den Bereich der Wünsche betrat, und erst rec ... Leseprobe